(erschienen in Titanic, 12/2012)
50 Jahre nach der Kubakrise gewährt das ausgebrannte Regime seinen Bürgern endlich Reisefreiheit. Ein Exodus der unterdrückten Bevölkerung dürfte die logische Folge sein. Auch wenn es sich wieder nur um eine Finte der gewieften Gebrüder Castro handelt: Die Tage der Steinzeitdiktatur scheinen gezählt. Grund genug, das todgeweihte Vorzeigeland linker Träumer noch einmal vorurteilsfrei unter die Lupe zu nehmen.
Freitag, 7. September, Flughafen Havana, 21.30 Uhr
Wieso tragen die Uniformierten hier keine Waffen? Wo ist die Atmosphäre latenten diktatorischen Terrors, der sofort ins Akute umschlägt, sobald jemand aus der Reihe tanzt? Haben wir uns elf Stunden den Arsch inmitten hässlicher Ficktouristen wundgesessen, um nun durch einen etwas wärmeren Airport Frankfurt/Hahn zu flanieren? Aber wir ahnen: Die gefährlichste Diktatur ist die, die man nicht erkennt. Castro und seine Schergen scheinen mittlerweile ausgebuffter, als wir gedacht hätten.
Keck nähern wir uns drei Frauen in hellbraunen Uniformen und fragen unschuldig nach einem Kugelschreiber. Wie nebenbei lassen wir eine regimekritische Bemerkung fallen: "Wer mit 20 kein Sozialist ist, hat kein Herz. Wer mit 40 noch immer einer ist, hat keinen Verstand!" Die Frauen kichern. Augenzwinkern und Getuschel, dann eine Bemerkung, so schnell und heiser gesprochen, dass wir nicht alles verstehen. Irgendwas mit "30" und "keinen Schwanz". Soviel ist klar: Die Luft knistert vor Erotik. Aber wir lassen uns nicht einlullen. Schließlich haben wir kein Verlangen danach, einen kubanischen Folterknast von innen zu sehen. Alarmiert passieren wir den Zoll.
Freitag, 7. September, Habana Centro, 23.15 Uhr
Nach der Fahrt mit einem erstaunlich gut gelaunten Taxifahrer (Drogen?) beziehen wir Quartier bei der Familie Masomenos in der Calle Franco (!). Im Fenster unserer „casa particular“ prangt ein Pappschild: „Comité de Defensa de la Revolución“. Aus unserem brandneuen Dumont-Reiseführer erfahren wir: „Vor allem die CDRs als allgegenwärtiges Spitzelsystem sorgen für eine Rundumüberwachung der Bürger, da sie sämtliche Aktivitäten in den Häuserblocks überwachen und „verdächtige“ Handlungen sofort melden.“ Sieh an! Von diesem Netzwerk aus Nachbarschaftsorganisationen haben wir schon in der katholischen Jugendgruppe unseres Heimatdorfes gehört. Ausführlich wurden wir damals vom Gruppenleiter über Kommunismus und Homosexualität aufgeklärt und ermahnt, Augen und Ohren offen zu halten, um verdächtige Umtriebe sofort melden zu können. Jetzt können wir uns mit eigenen Augen ein Bild von dem ausgefuchsten Spitzelsystem machen.
Bei einem Teller Reis mit Bohnen stellt sich raus: Juan, unser Herbergsvater, ist sogar der Vorsteher des lokalen CDR. Als seine Frau Adiposita uns eine widerliche Pseudo-Cola serviert, fragen wir den sauberen Señor ganz unverblümt, was er vom Kommunismus hält. Er winkt ab: „No soy communista, soy revolucionario!“
Am Katzentisch schimpft eine Mummelgreisin. Die Revolution könne sie mal kreuzweise. Sie wünsche sich Batista zurück. Der hätte auch viel besser ausgesehen als diese Castros.
„Ihre Mutter?“, fragen wir den Hausherren verdutzt.
„Nein. Die ist hier eines Tages zum Abendessen aufgetaucht. Seitdem ist das so eine Routine.“
Interessant, notieren wir später in unser Reisetagebuch, hier werden selbst die Überwacher überwacht. Letzte verzweifelte Mühen eines Systems vor dem Aus?
Samstag, 8. September, Habana Vedado, 12.00 Uhr
Schwarze Stutzgeier kreisen über dem imposant-hässlichen Hotel “Habana Libre”. Sozialismus und Architektur: eine No-Go-Area des guten Geschmacks. Unser Interesse gilt allerdings nicht der tristen Ästhetik der Karibikdiktatur, sondern dem bald vielleicht schon historischen Widerstand gegen das aufgezwungene Regime. Für unsere kleine Recherche benötigen wir Zugang zum Internet.
“Internet?”. Der wettergegerbte Straßenverkäufer lässt die Hand mit den riesigen, günstig feilgebotenen Joints sinken. “Ich dachte, das sei eine Mär aus den USA, eine Fabel, um den Kubanern den Kapitalismus schmackhaft zu machen.”
Ein Taxifahrer mischt sich ein: ”Doch, das gibt's. Der neuste Schrei des New Age. Das Weltwissen wird gebündelt, die Menschheit vernetzt sich, wird schwarmschlau und führt einen Paradigmenwechsel herbei: hin zu einer offenen Gesellschaft voller Egalität, Transparenz und Solidarität.”
Wir nicken anerkennend. Der gut informierte Taxifahrer gibt sich als nebenberuflicher Professor für nicht angewandte Molekular-Medizin zu erkennen und deutet auf das Habana Libre. “Da geht's lang zum Global Village. Wenn man sich's leisten kann.”
Im ersten Stock des Hotels liegt das „Habana Business Centre“. Eine Frau in blauer Uniform nimmt uns missmutig in Empfang. Servicewüste Sozialismus.
“Personalausweischen hinlegen, Rubbellöschen kaufen, die Nümmerchen in den Feldchen freirubbeln und in die Feldchen auf dem Rechnerchen eintragen”, erklärt sie barsch, aber in erstaunlich fließendem Spanisch. Wir setzen uns in eine Box. Aus Lautsprechern tönt Fahrstuhlmusik. Zunächst surfen wir auf die Webpräsenz alpha66.org. Eine Gruppe von Nachfahren enteigneter, vertriebener und in den USA versauerter Kubaner erklärt darin das Ziel, die Heimat durch Revolution und paramilitärische Mittel vom „totalitären Untermenschen“ Castro zu befreien. Uns faszinieren vor allem die Fotos von Festbanketten und professionell wirkenden Trainingscamps.
Die nächste url, die wir eingeben, lautet http://desdecuba.com/generationy. Wir lesen: „Generación Y ist der weltbekannte Blog der Kubanerin Yoani Sánchez, die in Havanna trotz dauernder Überwachung mutig die Mauern der Zensur überwindet.“ Gebannt halten wir den Atem an. Vielleicht bloggt die Freiheitskämpferin gerade jetzt unter Einsatz ihres Lebens in der Nachbarkabine gegen ein zensiertes Internet an! Gebannt lesen wir weiter: „Im Jahr 2002 veranlassten mich die persönliche Desillusion und die wirtschaftliche Zwangslage dazu, in die Schweiz auszuwandern.“ Damit hat die Glückliche zusammen mit ihrem kleinen Sohn den Traum jeden Kubaners verwirklicht: die Flucht vom karibischen Archipel Gulag in den freien Westen! Wir lesen weiter: „Aus familiären Gründen und gegen den Rat von Freunden und Bekannten kehrte ich im Sommer 2004 von dort wieder zurück.“
Wir reiben uns die Augen: Die Schweiz blöd finden – geschenkt, aber zurück in diese Kommunisten-Hölle? Mit einem kleinen Kind?! Wir vermuten hinter dieser Rückkehr eine wahrhaft schaurige Geschichte. Im Blogarchiv finden wir einen Eintrag vom 14.8.2007. In überaus deutlichen Worten schildert Sanchez die Heimkehr: „Riesenüberraschung als sie mir sagten, stell dich hinten in der Schlange an, wo die stehen, die zurück wollen.(...). So hab ich ganz schnell andere "Verrückte" wie mich getroffen, alle mit ihrer schaurigen Rückkehrgeschichte". Wir sind erschüttert. Was die kommunistische Gehirnwäsche aus Menschen macht, übertrifft unsere schaurigsten Erwartungen: „Verrückte“!
Plötzlich wird die Verbindung zum Internet unterbrochen. Ängstlich sehen wir uns um. Für einen Moment hören wir nur das Schlagen unserer Herzen. Haben wir es zu weit getrieben? Dann das Aufatmen: Unsere Zugangskarte ist abgelaufen
Samstag, 8. September, Palacio de la Salsa, 00.30 Uhr
Nirgendwo fällt das repressive Wesen Kubas so sehr ins Auge wie beim Tanzen. Wo freie Meinungsäußerung unerwünscht ist, kommt auch die Körpersprache übers Kindlich-Naive nicht hinaus. Stolz wie Oskar (Lafontaine) präsentieren die Eingeborenen ihre altbackenen Moves, dieses immer gleiche Repertoire aus Salsa, Habanera, Raspa, Rumba, Mambo, Montuno, Chachachá und Disco-Fox. Völlig unironisch lassen Männer wie Frauen ihre Hüften kreisen, während wir als urbane Hipster des freien Westens unsere Sohle natürlich augenzwinkernd-parodistisch aufs Parkett legen. Prompt ernten wir anerkennendes Lachen und bekommen den Ehrentitel „Roboter“ verliehen. Einige Lernbereite versuchen, es uns gleichzutun. Sie haben verstanden: Im 21. Jahrhundert tanzt man auf der Metaebene.
Fast noch peinlicher als die tanzenden Kubaner: Eine schneeweiße Dänin kurz vor der Menopause. Die früher vielleicht gar nicht mal unansehnliche Frau genießt es sichtlich, von jungen Mulatten umtanzt zu werden. Vermutlich glaubt die Gute, das abgebrühte Flirten gelte ihrer Person und nicht ihren Devisen und der Aussicht auf eine lukrative Heirat. Es sieht eben jeder nur, was er sehen will. Etwas traurig verlassen wir den Tanzpalast.
Montag, 10. September, Calle de Obispo, 13.00 Uhr
Nach einem Tag am Strand bummeln wir heute durch die Einkaufsstraße der Altstadt. Hier gaukelt das Regime den Bürgern kapitalistische Konsumfreuden vor. Bei genauerem Hinsehen fehlt es jedoch am Nötigsten. McDonalds, Starbucks, H&M, Ikea, Fielmann – Fehlanzeige! Seit Jahrzehnten kämpfen Gruppen wie alpha66 dafür, den Kubanern ein bisschen Lebensart beizubringen. Aber alles was Invasionsbemühungen und US-Wirtschaftsembargo bisher erwirken konnten, sind eine minimale Öffnung hin zum freien Markt. Mittlerweile ist privates Wirtschaften auf Kuba zwar erlaubt, aber durch zahlreiche Regularien begrenzt. Wenn nicht die neue Reisefreiheit endlich zum Zusammenbruch Kubas führt, dann bleiben amerikanische Groß-Konzerne und deregulierte Wall-Street-Investoren hier auch in Zukunft nur ein schöner Traum.
In einem Straßencafé sitzen drei kaffebraune Schönheiten und zwinkern uns zu. Um auch einmal etwas Positives über Kuba zu sagen: Sexuell sind die Menschen hier angenehm locker. Gerade die Schwarzen haben wenig Scheu, ihre körperliche Bedürfnissen zu zeigen. Davon wollen wir uns gerne eine Scheibe abschneiden. Als Gentlemen alter Schule geben wir ein paar Drinks aus und plaudern ein wenig über unsere Heimat der freien Wahlen und Märkte. Die Ladies machen große Augen. So was kennen sie nicht. Ganz zwanglos landen wir in einem Hotel. Nachher gehen wir zusammen shoppen und lassen ein paar Geschenke springen. Das tut uns schließlich nicht weh.
Donnerstag, 13. September, Malecón, 22.00 Uhr
Unsere Recherchen sind in den letzten Tagen zum Erliegen gekommen, weil wir noch ein paar mal mit unseren Freundinnen shoppen waren. Die drei Teenagerinnen scheinen uns richtig gern zu haben und reden schon von Heirat. Süß!
Nun sitzen wir auf der tristen Betonmauer am Meer, die der Kubaner euphemistisch Malecón (sinngemäß: „antifaschistischer Schutzwall“) nennt. Ein aufdringlicher Transvestit, der offensichtlich aus der Todeszelle flüchten konnte, spricht uns an. Geduldig hören wir uns seine weitschweifigen Ausführungen über das tolle Bildungs- und Gesundheitssystem der Castro-Diktatur an. Ein klarer Fall: Stockholm-Syndrom in der Karibik. Maschinenhaft drischt der Umgedrehte die üblichen Phrasen: Weniger Analphabeten als in den USA, kaum Kriminalität, eine hohe Lebenserwartung, laut UN-Welternäherungsprogramm das einzige lateinamerikanische Land ohne unterernährte Kinder, der beste Human Development Index in Mittelamerika, das einzige Land der Welt, das vom WWF eine „nachhaltige Entwicklung“ und eine Top-Ökobilanz bescheinigt bekam, solidarische Hilfe für andere Drittweltländer und so weiter und so fort. Wir hören uns den Sermon in Ruhe an bevor, wir unseren Konter platzieren: „Und was nutzt das alles ohne Freiheit?“
Da schaut die Transe trüb aus der Damen-Wäsche. Tja, man kann die Fackel der Wahrheit eben nicht durchs Gedränge tragen, ohne dem einen oder anderen den Bart zu versengen. Und so schön kostenlose Bildung für Jedermann sein mag – man darf die Kehrseite der Medaille nicht aus dem Blick verlieren: eine hier selbst in der Unterschicht verbreitete neunmalkluge Aufmüpfigkeit. Auf Kuba weiß jeder schwarzhäutige Schmalzkringelverkäufer alles besser und versucht uns Studierten zu erklären, wie wir dieses oder jenes verstehen sollen. Danke: Wir haben selbst Augen im Kopf!
Freitag, 14. September, Viñales Tal, 15.00 Uhr
Berge, Bäume, Rindviecher, Tabakfelder und dicke Mamas – der Anblick der kubanischen Natur hat etwas ungemein Beruhigendes. Palmen kennen kein Parteiprogramm. Die Geier kümmert's nicht, was für ein toller Hecht Che Guevara angeblich gewesen ist. Bäche sterben nicht für die Revolution und Berge lassen sich nicht gehirnwaschen. Berge haben nicht mal ein Gehirn. Und gerade diese hirnlosen Berge strahlen eine tröstliche Gewissheit aus: Egal welchen widernatürlichen Wahnsinn sich Menschen ausdenken – die Felsen werden ihn überdauern. Dann ein irritierender Gedanke: Ist auch all das bloß Kulisse? Vielleicht starren wir in ein Computerhologramm oder liegen vollgepumpt mit Drogen in einem Tank am Flughafen, den wir seit unserer Ankunft gar nicht verlassen haben?
Als der Erste von uns lauthals loslacht, weiß auch der Rest: Jetzt fangen wir langsam an zu spinnen. Der Herta-Müller-Effekt: Nur wenige Tage in einer Diktatur und schon werden die Gedanken kompliziert, ja bescheuert.
Freitag, 14. September, Flughafen Havanna, 22.00 Uhr
Wir sind um einige Erfahrungen reicher, als unser Flieger abhebt, um uns zurück in die freie Welt zu bringen. Jetzt wissen wir: Kuba bietet mehr als Salsa, Rum und schlechtes Essen. Kuba bietet auch Durchfall, Brechreiz und Verstopfung. Allerdings gibt es Grund zur Hoffnung: Trotz kommunistischer Rundumbeschallung interessieren sich erstaunlich viele Kubaner für Geld. Und auch, wenn manche aus der Schweiz wieder zurückkommen – langfristig wird die neue Reisefreiheit die Kubaner dahin führen, wo Menschen ganz Menschen sind: in den Kapitalismus.
Bei einem Blick durchs Fenster sehen wir unter uns die Lichter eines riesigen Komplexes. Womöglich ist es der berühmte kubanische Folterknast Guantánamo. Ein Schauer läuft uns über den Rücken. In den letzten sieben Tagen ist unser politisches Bewusstsein gewachsen. Wir beschließen, Kuba zu boykottieren, bis es endlich frei ist. Nette Teenager gibt es schließlich auch anderswo.
Samstag, 8. September, Palacio de la Salsa, 00.30 Uhr
Nirgendwo fällt das repressive Wesen Kubas so sehr ins Auge wie beim Tanzen. Wo freie Meinungsäußerung unerwünscht ist, kommt auch die Körpersprache übers Kindlich-Naive nicht hinaus. Stolz wie Oskar (Lafontaine) präsentieren die Eingeborenen ihre altbackenen Moves, dieses immer gleiche Repertoire aus Salsa, Habanera, Raspa, Rumba, Mambo, Montuno, Chachachá und Disco-Fox. Völlig unironisch lassen Männer wie Frauen ihre Hüften kreisen, während wir als urbane Hipster des freien Westens unsere Sohle natürlich augenzwinkernd-parodistisch aufs Parkett legen. Prompt ernten wir anerkennendes Lachen und bekommen den Ehrentitel „Roboter“ verliehen. Einige Lernbereite versuchen, es uns gleichzutun. Sie haben verstanden: Im 21. Jahrhundert tanzt man auf der Metaebene.
Fast noch peinlicher als die tanzenden Kubaner: Eine schneeweiße Dänin kurz vor der Menopause. Die früher vielleicht gar nicht mal unansehnliche Frau genießt es sichtlich, von jungen Mulatten umtanzt zu werden. Vermutlich glaubt die Gute, das abgebrühte Flirten gelte ihrer Person und nicht ihren Devisen und der Aussicht auf eine lukrative Heirat. Es sieht eben jeder nur, was er sehen will. Etwas traurig verlassen wir den Tanzpalast.
Montag, 10. September, Calle de Obispo, 13.00 Uhr
Nach einem Tag am Strand bummeln wir heute durch die Einkaufsstraße der Altstadt. Hier gaukelt das Regime den Bürgern kapitalistische Konsumfreuden vor. Bei genauerem Hinsehen fehlt es jedoch am Nötigsten. McDonalds, Starbucks, H&M, Ikea, Fielmann – Fehlanzeige! Seit Jahrzehnten kämpfen Gruppen wie alpha66 dafür, den Kubanern ein bisschen Lebensart beizubringen. Aber alles was Invasionsbemühungen und US-Wirtschaftsembargo bisher erwirken konnten, sind eine minimale Öffnung hin zum freien Markt. Mittlerweile ist privates Wirtschaften auf Kuba zwar erlaubt, aber durch zahlreiche Regularien begrenzt. Wenn nicht die neue Reisefreiheit endlich zum Zusammenbruch Kubas führt, dann bleiben amerikanische Groß-Konzerne und deregulierte Wall-Street-Investoren hier auch in Zukunft nur ein schöner Traum.
In einem Straßencafé sitzen drei kaffebraune Schönheiten und zwinkern uns zu. Um auch einmal etwas Positives über Kuba zu sagen: Sexuell sind die Menschen hier angenehm locker. Gerade die Schwarzen haben wenig Scheu, ihre körperliche Bedürfnissen zu zeigen. Davon wollen wir uns gerne eine Scheibe abschneiden. Als Gentlemen alter Schule geben wir ein paar Drinks aus und plaudern ein wenig über unsere Heimat der freien Wahlen und Märkte. Die Ladies machen große Augen. So was kennen sie nicht. Ganz zwanglos landen wir in einem Hotel. Nachher gehen wir zusammen shoppen und lassen ein paar Geschenke springen. Das tut uns schließlich nicht weh.
Donnerstag, 13. September, Malecón, 22.00 Uhr
Unsere Recherchen sind in den letzten Tagen zum Erliegen gekommen, weil wir noch ein paar mal mit unseren Freundinnen shoppen waren. Die drei Teenagerinnen scheinen uns richtig gern zu haben und reden schon von Heirat. Süß!
Nun sitzen wir auf der tristen Betonmauer am Meer, die der Kubaner euphemistisch Malecón (sinngemäß: „antifaschistischer Schutzwall“) nennt. Ein aufdringlicher Transvestit, der offensichtlich aus der Todeszelle flüchten konnte, spricht uns an. Geduldig hören wir uns seine weitschweifigen Ausführungen über das tolle Bildungs- und Gesundheitssystem der Castro-Diktatur an. Ein klarer Fall: Stockholm-Syndrom in der Karibik. Maschinenhaft drischt der Umgedrehte die üblichen Phrasen: Weniger Analphabeten als in den USA, kaum Kriminalität, eine hohe Lebenserwartung, laut UN-Welternäherungsprogramm das einzige lateinamerikanische Land ohne unterernährte Kinder, der beste Human Development Index in Mittelamerika, das einzige Land der Welt, das vom WWF eine „nachhaltige Entwicklung“ und eine Top-Ökobilanz bescheinigt bekam, solidarische Hilfe für andere Drittweltländer und so weiter und so fort. Wir hören uns den Sermon in Ruhe an bevor, wir unseren Konter platzieren: „Und was nutzt das alles ohne Freiheit?“
Da schaut die Transe trüb aus der Damen-Wäsche. Tja, man kann die Fackel der Wahrheit eben nicht durchs Gedränge tragen, ohne dem einen oder anderen den Bart zu versengen. Und so schön kostenlose Bildung für Jedermann sein mag – man darf die Kehrseite der Medaille nicht aus dem Blick verlieren: eine hier selbst in der Unterschicht verbreitete neunmalkluge Aufmüpfigkeit. Auf Kuba weiß jeder schwarzhäutige Schmalzkringelverkäufer alles besser und versucht uns Studierten zu erklären, wie wir dieses oder jenes verstehen sollen. Danke: Wir haben selbst Augen im Kopf!
Freitag, 14. September, Viñales Tal, 15.00 Uhr
Berge, Bäume, Rindviecher, Tabakfelder und dicke Mamas – der Anblick der kubanischen Natur hat etwas ungemein Beruhigendes. Palmen kennen kein Parteiprogramm. Die Geier kümmert's nicht, was für ein toller Hecht Che Guevara angeblich gewesen ist. Bäche sterben nicht für die Revolution und Berge lassen sich nicht gehirnwaschen. Berge haben nicht mal ein Gehirn. Und gerade diese hirnlosen Berge strahlen eine tröstliche Gewissheit aus: Egal welchen widernatürlichen Wahnsinn sich Menschen ausdenken – die Felsen werden ihn überdauern. Dann ein irritierender Gedanke: Ist auch all das bloß Kulisse? Vielleicht starren wir in ein Computerhologramm oder liegen vollgepumpt mit Drogen in einem Tank am Flughafen, den wir seit unserer Ankunft gar nicht verlassen haben?
Als der Erste von uns lauthals loslacht, weiß auch der Rest: Jetzt fangen wir langsam an zu spinnen. Der Herta-Müller-Effekt: Nur wenige Tage in einer Diktatur und schon werden die Gedanken kompliziert, ja bescheuert.
Freitag, 14. September, Flughafen Havanna, 22.00 Uhr
Wir sind um einige Erfahrungen reicher, als unser Flieger abhebt, um uns zurück in die freie Welt zu bringen. Jetzt wissen wir: Kuba bietet mehr als Salsa, Rum und schlechtes Essen. Kuba bietet auch Durchfall, Brechreiz und Verstopfung. Allerdings gibt es Grund zur Hoffnung: Trotz kommunistischer Rundumbeschallung interessieren sich erstaunlich viele Kubaner für Geld. Und auch, wenn manche aus der Schweiz wieder zurückkommen – langfristig wird die neue Reisefreiheit die Kubaner dahin führen, wo Menschen ganz Menschen sind: in den Kapitalismus.
Bei einem Blick durchs Fenster sehen wir unter uns die Lichter eines riesigen Komplexes. Womöglich ist es der berühmte kubanische Folterknast Guantánamo. Ein Schauer läuft uns über den Rücken. In den letzten sieben Tagen ist unser politisches Bewusstsein gewachsen. Wir beschließen, Kuba zu boykottieren, bis es endlich frei ist. Nette Teenager gibt es schließlich auch anderswo.